Die Donautalbahn – Gedanken zur Vorgeschichte, Bau und Betrieb
Was muss das für ein Fest, Freude und Begeisterung am 26. November 1890 im ganzen Oberen Donautal gewesen sein, als zum ersten Mal der Dampfzug auch hier in Mühlheim hielt. Vermutlich war aber auch, wie bei allem Neuen, eine gehörige Portion Skepsis dabei, denn man konnte ja noch nicht wissen, welche Auswirkungen der Anschluss an die weite Welt für die Region, im Speziellen für Mühlheim, hatte.
Doch war es eine lange Geschichte bis es soweit war.
Gehen wir mal zurück in die erste Hälfte des 19ten Jahrhunderts. Europa lag nach den Napoleonischen Kriegen am Boden, nur in England war die wirtschaftliche Entwicklung und Technik bereits so weit fortgeschritten, dass Tüftler sich in den Kohlegebieten ans Werk machten, bei den Pferdebahnen die Pferde durch Dampfmaschinen zu ersetzen, was ihnen auch gelang.
Der Bayerische König Ludwig I. erfasste als erster die Bedeutung dieser auf Schienen fahrenden Dampfmaschinen und schickte einerseits einen Ingenieur nach England und forderte andererseits die Franken auf zwischen Nürnberg und Fürth eine Eisenbahn zu bauen. Die 6 km lange Strecke wurde schließlich am 7.Dezember 1835 von der „Königlich privilegierten Ludwigs-Eisenbahn-Gesellschaft“ feierlich eröffnet. Die Lokomotive Adler wurde zuvor in über 100 Einzelteilen in 19 Kisten per Schiff und zum Schluss mit Pferdefuhrwerken von England nach Nürnberg gebracht.
Durch den Erfolg der Nürnberg-Fürther Bahn kam es in der Folge zu einem raschen Ausbau des Bayerischen Schienennetzes und aus Kostengründen zur Gründung der Königlich bayerischen Staatseisenbahn. Nachdem zu Beginn die Lokomotiven noch aus England bezogen wurden, baute man diese ab 1838 in München im Eisenwerk Hirschau. Die Weltfirma Krauss-Maffei war geboren, die auch heutzutage unter anderem noch am Bau des ICE beteiligt ist.
Deutschlandweit war das preußische Militär ein besonderer Verfechter der Eisenbahn. Aus strategischen Gründen wurde das Eisenbahnnetz relativ schnell ausgebaut.
Diese Überlegungen waren auch das ausschlaggebende Argument für unsere Donautalbahn. Doch der Reihe nach: Der Württembergische König Wilhelm I beauftragte bereits 1830 eine Kommission zur Verbesserung der Verkehrswege, welche die Eisenbahn 3 Jahre später als bestes Verkehrsmittel empfahl.
13 Jahre später wurde das erste Württembergische Eisenbahngesetz erlassen. So wurde 1845 die Strecke von Cannstatt nach Untertürkheim eröffnet, die danach bis Esslingen weitergeführt wurde. Eine interessante Anekdote ist hier der Streckenverlauf der Südbahn zwischen Erbach und Biberach. Nachdem sich die dazwischenliegenden Gemeinden nicht einigen konnten, griff König Wilhelm I zum Lineal und zog einen Strich von Erbach nach Biberach. So gerade verläuft die Strecke bis heute. 1850 konnte man somit mit der Bahn von Heilbronn bis Friedrichshafen fahren. 1853 wurde dann die Westbahn fertiggestellt, die von Bietigheim nach Bruchsal führte. Danach kam die Gäubahn bis Rottweil, später der Anschluss an die badische Bahn über Tuttlingen nach Immendingen, der schließlich 1870 fertiggestellt war. Die Donautalbahn von Ulm bis Sigmaringen folgte 1873 und 1878 die Hohenzollernbahn von Sigmaringen nach Balingen – Tübingen.
Wie war nun die Verkehrsanbindung Mühlheims vor dem Eisenbahnbau? Mit einem Wort: Schlecht. Die größeren Straßen liefen an Mühlheim vorbei von Tuttlingen über Neuhausen weiter nach Meßkirch und vom Bodensee kommend über Bergsteig / Fridingen weiter auf die Alb. Daher gab es schon 1859 eine Eingabe der Gemeinden Mühlheim und Nendingen an das Oberamt Tuttlingen zum Bau einer Straße durchs Donautal. Kurze Zeit später erfahren wir von den ersten Überlegungen zum Bau einer Donautalbahn und von der Gründung eines Eisenbahncommites.
Es lag also eine Verbindung von Sigmaringen nach Tuttlingen nahe. Der Verlauf der Strecke war lange Zeit unklar, eine Möglichkeit war eine Trasse von Tuttlingen über Nendingen, Neuhausen nach Meßkirch. Entscheidend für die heutige Streckenführung durch das Donautal waren letztlich militärstrategische Überlegungen. Die Donautaltrasse ermöglichte es ohne große Steigungen schweres Kriegsmaterial nach Westen zu transportieren. In diesem Zusammenhang sei auch die Sauschwänzlebahn erwähnt, die es auf badischer Seite ermöglicht, ohne über Schweizer Gebiet zu führen, die französische Grenze zu erreichen. In den darauffolgenden Jahren geschah jedoch wenig. Erst 1887 einigten sich das Deutsche Reich, Preußen, Württemberg und Baden über die Kosten, so dass im Frühjahr 1888 mit dem Bau begonnen werden konnte.
Die Neubaustrecke von Tuttlingen bis Inzigkofen, wo sie auf die Strecke Sigmaringen-Tübingen trifft, ist 37,5 km lang, dabei 14,8 km auf württembergischem Gebiet, 12,1km auf badischem und 10,6 km auf hohenzollerischem. Besondere Schwierigkeiten stellten die Donauverlegungen beim Ludwigstal, in der Mühlheimer Altstadt und bei Beuron dar, aber auch tiefe Einschnitte in Tuttlingen, Stetten und beim Bahnhof Beuron. Darüber hinaus stellten die vielen Tunnels und Brücken hohe Ansprüche an den Bahnbau. Das alles wurde ohne moderne Maschinen, in erster Linie mit reiner, wie wir heute sagen, „Manpower“ in so kurzer Zeit bewältigt. Viele Arbeiter kamen dafür aus dem Ausland wie zum Beispiel aus Italien, Tirol und Kroatien.
Natürlich lief der Bahnbau nicht ohne Zwischenfälle ab. Der Gränzbote berichtete von mehreren Todesfällen bei Sprengarbeiten, von schlimmen Verletzungen, von zwei in der Donau ertrunkenen Arbeitern, aber auch von Schlägereien. Einen kleinen Eindruck erhält man durch einen Bericht im Gränzboten vom 29. September 89:
In einer von 3 Seiten offenen, somit zugänglichen, auf Gemarkung Fridingen stehenden Bauhütte, wurde ein hölzernes Kästchen erbrochen und aus demselben eine Kaffeemühle, 2 Porzellanteller, 2 Gabeln, 1 Pfund Kaffee und eineinhalb Pfund Zucker gestohlen. Als Täterin wurde die 32 Jahre alte ledige Eisenbahnarbeiterin Anna-Maria Klara Brandstetter aus Kupferzell bei Öhringen, welche wegen Diebstahls schon 5-mal vorbestraft ist, ermittelt. Es wurden bei ihr die Kaffeemühle, die 2 Teller und eine Gabel gefunden, während sie die Wegnahme der weiteren Gegenstände leugnete. Wegen eines Verbrechens des einfachen Diebstahls im Rückfalle wurde sie trotz des geringen Werts des Gestohlenen mit Rücksicht darauf dass sie das Kästchen gewaltsam öffnen musste und dass sie schon so viele Vorstrafen erstanden hat, zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt.
Es waren also auch Frauen beim Bau beschäftigt, wie man auch auf Fotografien erkennen kann.
Die Eröffnung der Donautalbahn am 26. November 1890 wurde entlang der Strecke groß gefeiert. Aus Mühlheim erfahren wir beispielsweise, dass die Schüler Wurst und Brot bekamen, die Musiker je 2 Mark und dass 10 Pfund Kanonenpulver benötigt wurden.
Da auch viele Arbeiter aus Stetten mit dem Zug zur Arbeit fuhren, wurde 1909 der Haltepunkt in Stetten eingerichtet, nachdem sie zuvor meist im Mühlheimer Bahnhof aussteigen mussten. Die Fahrt zur Arbeit war für die Menschen natürlich von enormer Bedeutung. Ein Beispiel hierfür aus den 30iger Jahren zeigt dies eindrucksvoll. Für den Montagmorgen wurde ein Frühzug gefordert, damit die 35 Arbeiter aus Mühlheim und Stetten nicht schon am Sonntagabend nach Oberndorf zur Firma Mauser fahren mussten. Die Reichsbahn verlangte nach entsprechender Einrichtung den stolzen Fahrpreis von 20 Mark, was zum Glück nach einiger Zeit vollständig vom Arbeitgeber bezahlt wurde
Nach Inbetriebnahme der Bahnlinie Tuttlingen – Sigmaringen änderte sich auch die Postzustellung grundlegend. Die Bahn wurde zum Haupttransportmittel des Postguts (Pakete, Briefe usw.). Die an der Bahnlinie liegenden Orte wurden direkt auf diese Weise mit Post versorgt, abseits liegende Dörfer jedoch vom nächsten Bahnhof durch Boten bedient. (Bot von Hausen) Hierzu eine kleine Anekdote: Während der Inflation soll sich folgende Geschichte zugetragen haben: Raphael Rack bekam den Monatslohn ausbezahlt und hat die Lohntüte postwendend weggeworfen. Als man ihn nach dem Grund seiner Aktion fragte, erklärte er, dass das Geld nichts mehr wert sei, bis er in Renquishausen ankommen würde. Ab diesem Zeitpunkt erhielt der „Bot von Hausen“ seinen Lohn wöchentlich.
Fahrgastaufkommen und Güterverkehr nahm ständig zu. War es anfangs hauptsächlich der Holztransport, so wurden später immer mehr Material für die Uhrenfabrik und die Chirurgie und deren fertige Produkte mit der Bahn transportiert. Es gab später sogar eine in Mühlheim ansässige Spedition.
Das Silo, welches über viele Jahre in der Erntezeit Tag und Nacht angefahren wurde, ist bis heute ein sichtbarer Beweis für das Leben mit der Bahn in Mühlheim.
Wichtig war die Bahn natürlich auch für den Schülerverkehr. In den 50ger Jahren warteten die einen auf den Schienenbus nach Tuttlingen und einige wenige auf den Dampfzug nach Sigmaringen, die sich im Mühlheimer Bahnhof begegneten. Dabei war auch der junge Winfried Kretschmann, der das altsprachliche Gymnasium in Sigmaringen besuchte.
Leider verlor der Mühlheimer Bahnhof immer mehr an Bedeutung. 1981 wurde das zweite Gleis abgebaut und der Regionalexpress hält nur noch in Fridingen und nicht mehr in Mühlheim. Zum Glück wurde1990 jedoch durch die Einführung des Ringzuges die Situation wenigstens für den Personenverkehr, insbesondere für den Schülerverkehr verbessert.
Es bleibt zu hoffen, dass Mühlheim in Zukunft wieder einen besseren Anschluss an die weite Welt erhält.
Der „Bot von Hausen“
Nach Inbetriebnahme der Bahnlinie Tuttlingen – Sigmaringen änderte sich auch die Postzustellung grundlegend. Die Bahn wurde zum Haupttransportmittel des Postguts (Pakete, Briefe usw.). Die an der Bahnlinie liegenden Orte wurden direkt auf diese Weise mit Post versorgt, abseits liegende Dörfer jedoch vom nächsten Bahnhof durch Boten bedient.
Nachdem im Jahre 1851 das Postwesen an den württembergischen Staat übergegangen war, lag die Postversorgung des flachen Landes sehr im Argen. In den Amtsversammlungen der verschiedenen Oberämter wurden die einzelnen Postgebiete festgelegt. Am 3. März 1863 erfolgte die Einteilung des Postwesens für das Oberamt Tuttlingen. Das Oberamt erhielt folgende Postämter: Tuttlingen, Trossingen, Mühlheim und Wurmlingen. Das Mühlheimer Postamt war auch für die Mitversorgung folgender Gemeinden zuständig: Renquishausen, Kolbingen, Irndorf, Fridingen und Stetten.
Nach wie vor gab es weiterhin die zu Fuß gehenden Landpostboten, die manchmal auch einen zweirädrigen Karren schoben und die fahrenden Landpostboten mit einem pferdebespannten Botenwagen. Sie beförderten Briefe, Zeitungen, Pakete und stellten diese auch zu, im Allgemeinen sechsmal wöchentlich. Einer dieser fahrenden Landpostboten war der „Bot von Hausen“, eine Persönlichkeit, die weit über die Grenzen von Mühlheim hinaus bekannt war.
Der „Bot von Hausen“, Raphael Rack, geb. am 11. Januar 1882 und gestorben am 17. April 1969, begann im Alter von 25 Jahren seinen Postdienst. Sein erstes Pferd war ein kleines, schwaches Stutenfohlen, welches den schweren Wagen die Steig nach Kolbingen hinauf nicht alleine ziehen konnte, so dass Raphael Rack kräftig schieben musste. Die Tatsache, dass der „Bot von Hausen“ in seinen 39 Jahren Dienstzeit mit nur zwei Pferden auskam, zeigt die gute Pflege seiner Arbeitstiere.
Im Winter transportierte Raphael Rack die Post von Renquishausen bis nach Kolbingen mit dem Pferdeschlitten. Dort spannte er dann auf den Wagen um. Die Post aus Königsheim wurde nach Renquishausen gebracht und von dort durch den „Bot“ weiterbefördert. Unter anderem gehörte die Mitnahme von Paketen und Waren der „Bläslefabrik Kolbingen“ (Filiale der Harmonikafabrik Hohner von Trossingen) zu seinen Aufgaben.
Nachdem Raphael Rack die Briefe und Pakete des Heubergs in Mühlheim abgeliefert hatte, musste er auf die neue Post warten, die er dann wieder Richtung Renquishausen mitnahm. In dieser Zeit arbeitete Rack bei einem in Mühlheim ansässigen Metzger, so dass seine Familie immer gut mit Fleisch und Wurst versorgt war.
Der letzte „Bot von Hausen“, Sebastian Stehle, führte seine Botendienste motorisiert aus. Viele erinnern sich noch an seinen Kastenwagen der Marke DKW.
Wissenswertes zum Mühlheimer Bahnhof
Im Jahr 1889 wurde mit dem Bau des Bahnhofs begonnen, so dass er rechtzeitig zum Tag der Streckeneröffnung am 26. November 1890 fertig war. In den ersten Jahren konnte ein ständig steigendes Fahrgastaufkommen verzeichnet werden, was in erster Linie auf die Pendler zurückzuführen war. Überwog anfangs die Zahl der Auspendler, so kann man ab 1906 feststellen, dass die Zahl der Einpendler stetig zunahm, da das Arbeitsplatzangebot in Mühlheim stark angestiegen war.
Beim Güterverkehr war anfangs einzig der Holzversand von größerer Bedeutung. Der Stückgutverkehr stieg jedoch rasch an, da das Mühlheimer Gewerbe zunehmend die Bahn zum Export seiner Produkte nutzte. Über viele Jahre herrschte nach dem Bau des Getreidesilos während der Erntezeit große Betriebsamkeit.
Dem Mühlheimer Bahnhofsvorstand unterstanden auch die Bahnhöfe Fridingen, Beuron und Hausen im Tal.
Als TheaterBahnhof Mühlheim fand das Gebäude eine neue Nutzung nachdem Martin und Cécile Bachmann-Legrand das Bahnhofsgebäude 2005 von der Stadt gekauft haben. Auf der Kleinkunstbühne im Erdgeschoss mit rund 50 Sitzplätzen gibt es Aufführungen für Groß und Klein vom “theater sepTeMBer“.
Zudem bereitete der Heimatverein eine Sonderausstellung vor, mit dem Titel „Als der Dampfzug zum ersten Mal hielt“.