Ziegenhaltung im Städtle- oder: die gute alte Zeit!
Tante Babett, eine Schwester meines Schwiegervaters und schon hoch betagt, erzählte mir immer wieder, wie schwer der Alltag früher für sie war. Eines Tages habe ich mir Zeit genommen und sie befragt. Das war 1993. Sie wohnte mitten im Städtle. Immer noch in dem gleichen Haus, in dem sie vor 80 Jahren geboren wurde. „Ja, wa monscht Du,“ so begann sie ihre Erzählung “I bin äll Dag um halb sechsi uffgschande…“
Ihre Mutter war jung gestorben und so musste sie recht früh für alles sorgen, was im Stall oder im Haus an Arbeit anfiel. Aus ihrer Erzählung ging hervor, dass fast in jedem Haus im Städtle „Goasse“ (Ziegen) gehalten wurden und nur ganz wenige Leute Kühe, Schweine oder gar Pferde, besaßen. Vor oder hinter jedem Haus im Städtle war eine „Mischte“, denn Kleinvieh gibt ja bekanntlich auch „Mischt“.
Um ½ 6 Uhr morgens ging sie mit der Petroleumlampe voraus die steile Treppe hinunter in den Stall, um die Ziegen zu melken. Meist hatten sie drei Stück. Anschließend musste die Milch gekocht werden, um nicht so schnell zu verderben.
Die Menge von drei Ziegen wurde bei einer siebenköpfigen Familie fast täglich verbraucht. Wenn gerade junge Ziegen geboren waren, wurde es sogar knapp, da sie mit Ziegenmilch aufgezogen wurden. Die älteren Ziegen bekamen Heu und kleingeschnitzelte Dickrüben. Dies musste nach der täglichen Fabrikarbeit zubereitet werden.
Die Zeit verging am Morgen viel zu schnell, denn schließlich musste im Haushalt auch noch einiges erledigt werden. So kam es immer wieder vor, dass sie zu spät zur Arbeitsstelle in die ehemalige Uhrenfabrik kam. „Mei Stempelkart war vu obbe bis unne rot“ sagte sie mit einem verschmitzten Lächeln auf dem Gesicht. Und, hat man dir da keine Schwierigkeiten gemacht, war meine Frage. „I han halt messe eine Mark Strof zahle, no hots des ket!
Tante Babett hatte sechs Geschwister. Drei waren bereits im Kindesalter gestorben. Die Wohnung war aber recht klein und so war es ganz selbstverständlich, dass immer wieder eines der Kinder bei der „Nahne uffem Grabbe gschlofe hät,“ wie sie zu sagen pflegte. Eines dieser Kinder war mein Schwiegervater. Er ist 1903 geboren und wurde fast 85 Jahre alt. Er erzählte uns, wie er oft, besonders im Winter, bei seiner Großmutter auf der Ofenbank, geschlafen hat. Wenn der Winter besonders streng war, dann war es selbstverständlich, dass die kleinen Ziegen vom Haus im Städtle auch umquartiert wurden und unter der Ofenbank in der Stube „uffem Grabbe“ schlafen durften. Dies war eine Vorsichtsmaßnahme, denn im Stall war es viel zu kalt, besonders wenn er an einer Außenwand angebracht war, bestand die Gefahr dass die jungen Geißlein, zu erfrieren drohten.
Im Jahr 1943 hatte unsere Tante, damals 21 jährig Hochzeit. „Vier Giäßli hom mir gschlachtet“ und wieder ging ein Strahlen über ihr Gesicht. Sie schwärmte geradezu euphorisch, wie gut das junge Ziegenfleisch schmeckt, betonte aber, dass pünktliches Misten und Sauberhalten der Tiere, sehr wichtig für Geschmack und Qualität bei Milch und Fleisch sei. Besonders ihr Vater hätte dies immer wieder betont.
Eine besondere Spezialität muss das sogenannte „Brieschter“ gewesen sein. Es wurde aus ¾ Ziegenmilch und ¼ Kuhmilch hergestellt. „Des hätt me id Brotkachel dau und no zum Bäck brocht und wenns fertig war, no hätt mers wieder gholt.“Auf meine Frage, ob man es zu Brot oder Kartoffeln gegessen hat, sagte sie: „Ha nei; lautrig, des war so gut und luftig, do häscht ninnt dozu braucht.“
Außerdem meinte sie, dass „Brieschter“ aus reiner Kuhmilch hergestellt, längst nicht so gut geschmeckt hätte. Er sei zäh und härter gewesen. (Ob das nicht ein wenig Eigenstolz war, da man ja keine Kuh besaß?)
Allerdings hat sie auch gesagt, dass vor allem Kinder immer wieder Probleme mit der Ziegenmilch hatten, da sie sehr fett sei, viel fetter als Kuhmilch.
Zum Schluss unserer Unterhaltung hatte ich doch das Gefühl, es muss eine besondere Zeit gewesen sein, die „gute alte Zeit,“ denn selten habe ich unsere alte Tante so fröhlich plaudern gehört.
Heidrun Leibinger